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Geschichte vor 1900

26.04.2025

Entstehung der Sektion Chemnitz, Bau der ersten Hütte und Einweihung

Geschichte • 26.04.2025

Im Jahr 2025 blickt die Alte Chemnitzer Hütte auf 130 Jahre Geschichte zurück. Ein Anlass, sich in einer Beitragsreihe mit den Ursprüngen dieser traditionsreichen Hütte und ihrer engen Verbindung zur Sektion Chemnitz des damals Deutschen und Österreichischen Alpenvereins zu befassen.

Nachdem es am 6. Mai 1869 fünf Bergbegeisterten aus München gelang, den Deutschen und Österreichischen Alpenverein zu gründen, folgten bald zahlreiche Städte, die ihre Sektionen darunter bildeten. Auch im westsächsischen Raum organisierten sich Wanderer und Bergsteiger: am 17. Mai 1874 entstand die Sektion Erzgebirge-Vogtland, welcher sich auch Chemnitzer anschlossen.

Entstehung der Sektion Chemnitz des D. u. Ö. Alpenvereins

In Chemnitz beheimatete Mitglieder der Sektionen Erzgebirge-Vogtland und Dresden trafen sich ab November 1880 regelmäßig und organisierten alpine Vorträge. Der Wunsch nach einer eigenen Sektion entwickelte sich rasch. Am 15. Dezember 1881 wurde in einer Versammlung einstimmig beschlossen, eine eigene Sektion zu gründen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1882 entstand die Sektion Chemnitz als 73ste Sektion des D. u. Ö. Alpenvereins. Ihr traten 41 Mitglieder bei.

1883 wurde Professor Theodor Kellerbauer zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. August Israel, einer der ältesten Vereinsmitglieder Sachsens, gehörten ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern. Der vielseitig engagierte Technikprofessor war zuvor Mitglied der Sektion Dresden und eine prägende Persönlichkeit in Chemnitz. Er legte viel Wert auf eine rege Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sein Einsatz für Feuerwehrwesen, Wissenschaft, Kultur und Vereinsleben prägte auch seine Führung der Sektion1. Aufgrund der zahlreichen Tätigkeiten lag es in seinen Grundzügen in großen Zusammenhängen zu denken und diese zu hinterfragen. Sowohl als Bergsteiger als auch Vorstand führte er die Sektion unter seiner Leitung über drei Jahrzehnte aufwärts. Deutlich wird dies an der rasch wachsenden Mitgliederzahl: noch 1882 zählte die Sektion 108 Mitglieder, 1891 waren es doppelt so viele. 1907 wurden über 600 Mitglieder, zum Ersten Weltkrieg knapp 700 und nach unvermeidlichen Verlusten ein Jahrzehnt später ca. 1400 Mitglieder vermerkt.

Zum Verein gehörten Unternehmer, Fabrikanten, Kaufleute, Beamte, Wissenschaftler, Lehrer, Juristen, Ärzte und Rentner. Arbeiter und Handwerker stießen erst nach dem 1. Weltkrieg dazu. Die Sektion Chemnitz zeichnete sich früh durch Offenheit aus, da auch Frauen als Mitglieder aufgenommen wurden und den Alpinismus fördern durften. Mitglieder waren zur Anfertigung von Tourenberichten verpflichtet. Aus den Jahresberichten geht hervor, welch erstaunliche Leistung damals erbracht wurde.

Professor Theodor Kellerbauer war u. a. Ehrenmitglied des Turnvereins, Hauptmann der Turnerfeuerwehr, Redakteur der Zeitschrift „Feuerspritze“, 2. Stellvertreter des Vorsitzenden des deutschen Reichsfeuerwehrverbandes, engagierte sich im freisinnigen Volksverein und als Sänger an der Singakademie Chemnitz und führte aufgrund seiner Arbeiten als Konstrukteur für Feuerwehrtechnik, das Fach Feuerlöschwesen an technischen Lehreinrichtungen ein.

Sand in Taufers bildet die Grundsteine für die spätere Chemnitzer Hütte

In Tirol setzt die Sektion Sand in Taufers frühe Impulse. 1875 regte sie den Bau einfacher Übernachtungsmöglichkeiten für 6 bis 10 Personen auf der Göge-Alm und in Neves (Lappach) an, sodass längere Bergbesteigungen möglich wurden. Das „Bergsteigen“ wurde seit 1878 zunehmend beliebter: die Nachfrage an Bergführern stieg und es wurden Tarife für verschiedene Führungen festgelegt, wie beispielsweise von Weißenbach zum Möselegipfel oder von Lappach zum Hochfeiler. 1880 genehmigte die Sektion Sand Gelder für den Bau einer Schutzhütte im oberen Neves, die am 20. August 1880 mit Gesang, Tanz und Wein feierlich eingeweiht wurde. Obwohl sie lediglich einfache Lager bot und nicht bewirtschaftet war, bildete sie einen wichtigen Ausgangspunkt für alpine Touren. Die Besucherfrequenz hielt sich jährlich zwischen 20 und 36 Gästen. Um dem Erhalt der Hütte nachzukommen, stellte die Sektion 1890 einen Antrag beim D. u. Ö. Alpenverein, welcher aufgrund unzureichender Geldmittel abgelehnt wurde.

Der Wunsch einer eigenen Sektionshütte

Schon kurz nach der Gründung entstand der Wunsch, mit einer eigenen Hütte zur Erschließung des Alpenraumes beizutragen. Mit einem Stiftungsfest 1888, wurde der Wunsch erstmalig öffentlich artikuliert. Ab 1889 wurde der Grundstein für den Hüttenbau, durch einen eingerichteten Hüttenbaufond gelegt.

Rosa Kellerbauer, Tochter des Vorsitzenden, trug mit ihren Dichtungen zum Gelingen der Sektionsfeste und zur Finanzierung bei. Ihre Festspieltexte fanden große Resonanz. Die Einnahmen der verkauften Drucke flossen, gemeinsam mit Anteilsscheinen, in den Hüttenbaufond. Eines ihrer Werke trug den Titel: „Einweihung der Chemnitzer Hütte auf der Geißenalm im Irgendwotale“, welches dem Wunsch deutlich Nachdruck verleiht.

Ein Angebot für eine Hütte am Akogel in der Steiermark lehnte die Sektion ab, da das Gebiet für den Tourismus ungeeignet erschien. 1893 hatte die Sektion das Recht einer juristischen Person und 1500 Mark in der Hüttenbaukasse. Es sollte nach ersten Plänen eine Hütte am Schwarzenstein errichtet werden. Auf dem dort befindlichen Trippachsattel baute jedoch die Sektion Leipzig ihre Hütte. Stattdessen fiel die Wahl auf das Nevesjoch in Südtirol, neben der kleinen Hütte der Sektion Sand in Taufers, die nicht mehr finanziert werden konnte.

„Das große alpine Werk“

Prof. Kellerbauer beschrieb in seinen Schriften das Geschehen um den Bau der Hütte. Demnach war das ganze Chemnitzer Sektionsleben im Zeichen des „großen alpinen Werkes“, eben des Hüttenbaus, ausgerichtet. Am 10. November 1893 beschloss die Sektion Chemnitz mit 22 gegen 11 Stimmen, die alte Hütte zu übernehmen, eine Neue zu bauen, den erforderlichen Wegebau und die Finanzierungzu sichern. Bei den Sektionsmitgliedern wurde eine Anleihe i. H. v. 5000 Mark genommen. Fabrikant Jacob Albert Eisenstuck übernahm die Planung, fertigte Zeichnungen für den Neubau und die zugehörige Einrichtung der Hütte an. Die Ausführung lag beim Baumeister Eppacher aus Sand in Taufers. Für seine Beauftragung wurden höchstens 5000 Gulden und für erforderliche Wegebauten 300 Gulden vorgesehen. Bei der Generalversammlung in München wurden der Sektion Chemnitz 3000 Mark zum Hüttenbau bewilligt.

Propaganda-Welle im Bergsport

Als die Übernahme und der Bau einer neuen Hütte durch die Chemnitzer Sektion bekannt wurde, trat dies eine erste Propaganda-Welle los. Es wurde mit besonders schönen Ausflugszielen geworben: Schaflahnernock, Gamslahnernock, Mösele – als aussichtsreichster Hochgipfel der Zillertaler Alpen – und Turnerkamp.

Bau der Hütte

1894 begannen die Bauarbeiten. Bereits Ende des Jahres war das neue Gebäude unter Dach und die kleine Hütte im Besitz der Sektion. Auch die Wege zum Neveser Ferner und zur Gögealpe wurden fertiggestellt und ein Zugang von Weißenbach aus vertraglich gesichert.

Das Jahr 1895 kann als eines der wichtigsten in der Entwicklung der Sektion betrachtet werden. In dieser Zeit wurden vereinsinterne Absprachen zu Publikationen und alpinen Notsignalen getroffen. In Chemnitz war man ganz auf die Einweihung der Hütte ausgerichtet. Der Bauausschuss, bestehend aus Eisenstuck, Döhner und Duderstädt, investierte viel Zeit und Energie in das Projekt. Eisenstuck selbst reiste bei Bauverzögerungen nach Südtirol, um den Fortschritt zu sichern. Was „nach Südtirol reisen“ damals bedeutete ist wohl allen klar. Es war mit erheblichem Aufwand und viel Zeit verbunden – ganz anders als die komfortable Anreise von heute. Ihm war es zu verdanken, dass am Tag der Weihe, die Hütte innen und außen vollständig fertig war.

Die Chemnitzer Hütte – einige Meter südlich von der alten Nevesjochhütte errichtet – erhielt neben einer Küche und Gaststube auch zwei Schlafräume mit acht Plätzen im Erdgeschoss. Im Obergeschoss errichtete man fünf Zimmer mit je zwei Schlafstellen, ein Pritschenlager und den Schlafraum der Wirtsleute. Die alte Hütte enthielt einen Raum mit Herd und 8 Lagerstätten sowie ein Strohlager unterm Dach für 10 Personen. Diese sollte als Schlafquartier für die Bergführer dienen. Auch der Weg in Serpentinen von Weißenbach aus wurde fertiggestellt, wodurch die Hütte für Jeden zugänglich wurde. Die Gesamtkosten für die Hütten und den Wegebau beliefen sich auf etwa 11.000 Mark. Die Bewirtschaftung der Hütte wurde dem Bergführer Steffel Kirchler übertragen.

Die Einweihung am 29. Juli 1895

Am 29. Juli 1895 wurde die Hütte feierlich eingeweiht. Zahlreiche Alpenvereinsmitglieder aus Weißenbach und Lappach, Talbewohner, Bergführer und Hirten stiegen vormittags zur geschmückten Hütte auf. Auch Gäste deutscher Sektionen sowie der Vorsitzende des Hütten- und Wegebauausschusses des D. u. Ö. AV waren vertreten. Flatternde Fahnen, Böllerschüsse und Gesang eines Chemnitzer Doppelquartetts erzählen von der prachtvollen Feierlichkeit, bei der zum Mittag rund 100 Personen anwesend waren. Baumeister Eppacher und Prof. Kellerbauer hielten Ansprachen und Rosa Kellerbauer verfasste ein Gedicht, welches sie dem 1. Vorsitzenden mit einem Kranz aus Alpenrosen und Edelweiß übergab. Die Feier hielt mit Musik, Tanz, Freibier und Gratisfrühstück noch lange an. 

Am 30. Juli bestiegen zehn Männer und eine Frau den großen Möseler, weitere Gäste liefen vormittags den neugebauten Weg bis an den Nevesferner oder bestiegen den Gamslahnernock, mit prächtigem Blick auf den Zillerkamm, die Riesenferner und Dolomiten. Andere kletterten auf dem Grat zum Pfaffnock.

Am 31. Juli wurden die Feierlichkeiten in Taufers fortgesetzt. Nach einer Einladung der Sektion Chemnitz trafen sich schon früh am Morgen Bewohner und Sommergäste des Ortes auf einem Volksfest am Tauferer Schloss. Mit Trachten und Musik, wurde auch an diesem Tag ausgiebig gefeiert. Im Schlosshof wurde gesungen und getrunken und im alten Rittersaal getanzt. Den Abend krönte ein Festessen in der „Post“ und ein Feuerwerk. Albert Eisenstuck wurde mit einem Lorbeerkranz für seinen maßgebenden Anteil an der Fertigstellung der Hütte geehrt. Groß war auch die Zahl der Beglückwünschungstelegramme von Sektionen, Mitgliedern und Freunden. Das Fest fand mit einem glanzvollen Tanz seinen Abschluss.

Ein schöner Auszug über die Bergkulisse

„Die Lage der Hütte ist vorzüglich. Südlich und nördlich erheben sich die zerklüfteten Gipfel des Schaf- und Gamslahnernocks, nach Osten zu ist der Blick frei, und hier ragen die schneeigen Gipfel der Riesenferner Gruppe empor; es steigt die schöne Pyramide der Röthspitz auf, und den Hintergrund schließt die Dreiherrenspitze ab. Als steile Felswand steht der Schwarzenstein im Nordosten. Vom Gastzimmer der Hütte aus erblickt man den vergletscherten Kamm der Zillerthaler Alpen mit dem Weisszint, Mut- und Breitnock.“

Weitere Entwicklungen bis 1900

1896 regte Prof. Kellerbauer zum Wegebau in Richtung der Berliner Hütte an. Später errichtete man einen seilversicherten Übergang, welcher jedoch nicht lang standhielt. Zudem wurde mit der Errichtung eines Weges zum Schaflahnernock begonnen. Stiftungsfeste erbrachten beachtliche Summen in die Hütten- und Wegebaukasse, die seit 1897 von der Vereinskasse getrennt geführt wurde. Im selben Jahr erhielt die Hütte eine vom Schaflahnernock gespeiste Wasserleitung aus Holzröhren. Die Wasserquelle entdeckten Prof. Kellerbauer und Wittich. Die Zahl der Besucher stieg auf 90 Gäste an.

1898 begann die Sektion mit der Rückzahlung der Anleihe. Rosa Kellerbauer wurde durch ihre unermüdliche Arbeit zum Ehrenmitglied ernannt. 1899 plante man den Wegebau zum Tratterbachkees und -joch, welcher noch im darauffolgenden Jahr umgesetzt und mit einer Einweihung gefeiert wurde. Neben den Aussprachen großer Zufriedenheit über den Hüttenwirt und seine Tochter, erfreute sich die Speisekarte an einer Erweiterung: ab sofort sollte es auf der Chemnitzer Hütte Schöllschnitzer Dörrgemüse geben.

 

Die Hütte am Nevesjoch wurde schnell zu einem festen Bestandteil des Chemnitzer Alpenvereinslebens und bleibt bis heute ein Symbol für das Engagement der Sektion und ihre Verbindung zu den Alpen.

Quellen: Archiv der Sektion Chemnitz des DAV; Wolfgang Mann: Chemnitzer Roland 9. Beiheft, 01/2007; Dr. Frank Tröger: Chemnitzer Roland 03/2024, S. 25 ff. I Text: Sophie Waltschew